Von wilden Nächten zu stillen Mantren
Von Hardcore über Gypsy-Pop zu Contemporary Mantra: Mike Hermann und Lena Krüger sind Tiefe Wasser Berlin. Ihre Musik fließt ruhig, tief, mit einer hypnotischen Klarheit. Doch die Wurzeln dieses Sounds reichen weit zurück – in Berliner Clubs, nach Barcelona, bis zu einem Wohnzimmer in Belgrad.

Aus unterschiedlichen Strömen
Mike Hermann begann seine musikalische Reise als Gitarrist in der Berliner Hardcore-Band D Base 5, tourte durch Europa und arbeitete später als Studiomusiker für internationale Größen wie die Pet Shop Boys oder Helene Fischer. In Barcelona gründete er mit Christian Vogel die experimentelle Band Night of the Brain und veröffentlichte unter dem Namen Mike Fuzz auf dem Berliner Label Shitkatapult. Selbst als Techno-Produzent war er unterwegs – ein musikalischer Grenzgänger mit tiefem Gespür für Klangästhetik.

Lena Krüger wiederum war Teil der Berliner Bands Rotfront und Bloody Kalinka, verwurzelt in der osteuropäischen Musikszene, mit einer Stimme, die sowohl mitreißt als auch zart berührt.
Die Anziehung von osteuropäischer Musik führte Lena ein Jahr nach Belgrad und Sarajevo wo sie Ted Yanni, den Produzenten von Kusturicas „Time of the Gypsies“ Soundtrack traf und mit ihm dort eigene Songs aufnahm.
Ein Wohnzimmer in Belgrad
2010 führte ein Anruf von Ted alles zusammen. Er stellte Mike und Lena einander vor – fünf Minuten später saßen sie im Wohnzimmer, hörten erste Aufnahmen, und ein neues Kapitel begann. Gemeinsam gründeten sie Yukazu, ein sechsköpfiges Chanson-Gypsy-Pop-Projekt mit Akkordeon, Klarinette, Gitarre und zwei kraftvollen Frontsängerinnen. Ihre Shows in Berliner Clubs, auf internationalen Bühnen und Festivals wie der Fusion brachten das Publikum regelmäßig zum Tanzen – ekstatisch, verspielt und wild.
Nach ihrem 100. Konzert löste sich Yukazu auf. Aus der gemeinsamen musikalischen Reise wurde eine tiefere Verbindung – Mike und Lena sind seither auch privat ein Paar. Tiefe Wasser Berlin ist kein Neuanfang, sondern das destillierte Echo dessen, was zuvor war – nur reduzierter, konzentrierter, stiller.

Eine Amsel verlässt das Nest
Schon früh war Amselcom Teil dieser Geschichte. Damals begegneten sich Lena und Labelgründer Andreas im Berghain, eine dieser nächtlichen Verbindungen, die in Berlin oft nachhaltiger sind als man denkt. Drei Remixe von Yukazu-Songs machten 2013 den Auftakt des Labels – als AMSEL001. Auch heute noch ist Amselcom eng mit Tiefe Wasser Berlin verbunden – ideell wie musikalisch.

Was bleibt: Contemporary Mantra
Tiefe Wasser Berlin ist kein Bandprojekt im klassischen Sinn. Es ist eher ein musikalischer Raum, eine Haltung, eine Schwingung. Aus der exzessiven Liveband Yukazu ist ein Downtempo-Elektronik-Projekt geworden, das sich elegisch, aber nicht düster anfühlt. Ihre Musik zieht sich zurück, macht Platz, atmet.
Und sie trägt einen Namen: Contemporary Mantra.
„Mantren entfalten durch Wiederholung eine besondere Wirkung – wie ein Gebet, ein Loop, eine Drone“, sagen Mike und Lena. In einer immer komplexer werdenden Welt sei Einfachheit eine Chance zur Ruhe zu kommen. Ihre Songs kreisen oft um eine einzelne Zeile, ein Thema, ein Gefühl – verdichtet, gespiegelt, verweilt.
Die Texte sind knapp, aber präzise. „Lieb mich nicht“ ist ein Liebeslied ohne Pathos, „Alles geht den Bach runter“ kein Abgesang, sondern ein fließender Neuanfang. „Manchmal scheint es, als ob das einzig Sinnvolle, was man sagen kann, mit dieser inneren Suche zu tun haben muss“, meint Lena. Ihre spirituelle Praxis hat längst auch ihre Musik durchdrungen.

Was sie zusammenhält
Was als künstlerische Begegnung begann, ist längst auch eine Liebesgeschichte. Die Energie zwischen den beiden ist spürbar.
„Mike ist feurig, stolz und lustig“, sagt Lena.
„Lena ist ausgleichend, kommunikativ und freiheitsliebend“, sagt Mike.
Was sie musikalisch und menschlich vereint, ist das Vertrauen in Intuition – und das Bedürfnis nach Tiefe.
Und: Berlin. Die Stadt ist für sie nicht nur ein Wohnort, sondern ein Gefühl. Kultur, Klangraum, Kontrast. Der graue Himmel, das Holz im Garten, die analogen Instrumente im Studio, der Winter und das Fernweh nach Süden – alles schwingt mit in ihren Tracks.

Musik im Fluss – wie ein Track entsteht
Die Tracks von Tiefe Wasser Berlin entstehen nicht in sterilen Studios, sondern im Wohnzimmer – zwischen Pflanzen, Vinyls, analogen und digitalen Instrumenten. Der Computer läuft dabei wie ein stiller Mitbewohner, immer bereit, neue musikalische Puzzleteile aufzusammeln, die Mike und Lena ihm im Vorbeigehen zufüttern.
Es ist kein geplanter Prozess, eher ein organisches Hin- und Herspielen. Oft mit einer Tasse Kaffee in der Hand improvisieren sie, probieren Sounds aus, lassen Melodien entstehen. Manchmal ist es ein Gitarrenmotiv, manchmal ein Drumloop oder ein Satz, der hängen bleibt. Ihre Tracks wachsen organisch – nicht auf Knopfdruck, sondern im eigenen Tempo, zwischen Alltag und Inspiration.
Was kommt, was bleibt?
Tiefe Wasser Berlin sind keine Gurus, aber sie glauben an die Kraft von Musik, die nicht drängt. An Worte, die sich wiederholen dürfen. An Melodien, die sich um ein Du drehen – ein Gegenüber, das nicht fixiert, sondern erinnert.
Mit ihrem neuen Release Purpur zeigen sich Tiefe Wasser Berlin von einer progressiveren Seite – und bleiben sich dabei dennoch treu. Der Track ist treibender, vielschichtiger, und Mikes Vergangenheit im Techno ist deutlich hörbar.
Purpur ist nur der Anfang: In den kommenden Monaten dürfen wir uns auf viele weitere Releases freuen, die das Projekt weiter entfalten – Schicht für Schicht, Klang für Klang.
Doch eines scheint sicher: Wer sich auf Tiefe Wasser Berlin einlässt, hört nicht nur Musik. Er hört sich selbst – in der Tiefe.
<3 <3 <3